Die kurdische Sprache"Die Sprache einer Nation ist ihre Seele, Ihre Seele ist ihre Sprache" - sagt der deutsche Wissenschaftler Humboldt. Wir, die Kurden sagen aber: "Unsere Sprache ist unsere Identität, unsere Identität ist unsere Würde". Die Seele der Kurden ist die kurdische Sprache, und sie wird in der Türkei noch immer verboten. In Artikel 42 der türkischen Verfassung steht: "In Erziehungs- und Bildungs-Institutionen darf türkischen Staatsbürgern als Muttersprache keine Sprache außer Türkisch unterrichtet oder beigebracht werden"...
Von Haydar Isik
Im Artikel 3 der Verfassung heißt es: "Die Türkei ist mit ihrem Land und Volk eine unteilbare Einheit und ihre Sprache ist Türkisch." Im Artikel 4 der Verfassung steht: "Die Sprache wird nicht geändert und ein Antrag auf Änderung ist unzulässig."
Im Gesetz der politischen Parteien wird das Verbot der Sprache und Kultur im Artikel 81 b so definiert: "Die politischen Parteien können außer der türkischen Sprache und Kultur keine anderen Sprachen und Kulturen fördern. Sie können keine die Einheit der Türkei schädigende Minderheiten schaffen." In Artikel 81 c steht: "Die politischen Parteien können beim Schreiben ihrer Satzung und ihres Programms keine andere Sprache außer Türkisch verwenden. Bei allen Veröffentlichungen bei Kongressen, im Saal oder draußen, bei Kundgebungen und Propaganda darf außer Türkisch keine andere Sprache verwendet werden. (...)" "Satzung und Programme werden nur in die Sprachen übersetzt, die nicht laut Gesetz verboten sind." Das heißt, man darf sein Volk nicht mit der gesetzlich verbotenen Sprache, mit Kurdisch ansprechen.
Damit versucht die Türkei mit allen Mitteln, die Kurden ihrer Seele zu berauben und ca. 20 Millionen Kurden in der Türkei unter Zwangsassimilierung zu setzen. Alle geographischen Namen in den kurdischen Gebieten wurden türkisiert und die kurdischen Eltern werden bestraft, wenn sie ihren Kindern kurdische Namen geben. Dies bedeutet, dass die Türkei einen menschenverachtenden Separatismus gegen Kurden führt. Seit ihrer Gründung versucht die Türkei die Grundlage des kurdischen "Wir-Gefühls", also Sprache, Kultur, Geschichte, ethnische Eigenschaften der Kurden für immer zu dezimieren.
Kurdische Kinder müssen eine Sprache lernen, mit der sie gepeinigt, unterdrückt, geknebelt werden. In den türkischen Schulbüchern werden unter den die Türkei schädigende Gesellschaften die Kurden genannt (Kürt Teali Cemiyeti), die beim sog. türkischen Befreiungskampf gegen die Türken standen. Somit wird den kurdischen Kindern ein Schuldgefühl eingegeben und ihre seelische Entwicklung beeinträchtigt. Wenn ein Schüler sich im Unterricht als Kurde benennen würde, würde er massiv beschimpft oder geschlagen werden. Ich habe oft gehört, dass man sagte: "Wenn sich jemand als Kurde bekennt, dürft ihr ihm ins Gesicht spucken." Dieser Satz wurde vom Putschisten General Cemal Gürsel, der auch Staatspräsident war, aufgenommen.
Wenn ich daran denke, dass mir das Kemalistische Regime in der Türkei meine Heimat, die warmen Wörter meiner Mutter, die ich als Heimat betrachte, gewaltsam weggenommen hat, habe ich eine Wut. Ich wuchs auf mit diesem fremden Idiom, das mir aufgezwungen wurde, und heute auch meinen Enkelkindern aufgezwungen wird. Ein kurdisches Kind, das kein Türkisch kann, muss vom ersten Tag an in der Schule Türkisch sprechen. Da sie dies nicht können, werden sie im Unterricht beleidigt und erniedrigt. Man weckt das Gefühl, es sei eine Bereicherung Türkisch zu sprechen. Diese Situation verursacht bei den kurdischen Kindern Minderwertigkeitgefühle und Persönlichkeitsverlust. Die Türkei hat unsere Sprache als minderwertig erklärt und verboten. Damals wie heute heißt es, die Anwendung der kurdischen Sprache sei eine Beleidigung für die türkische Sprache, welche die Mutter aller Sprachen sei.
Nachdem die kurdische Sprache in der Türkei staatlichen Repressalien unterliegt, erwartet man von der EU sich bei der Türkei zu diesem Punkt besonders stark zu machen. Kurdisch ist schließlich die Sprache von etwa 20 Millionen Menschen in der Türkei und muss als Erbe der Menschheit betrachtet werden. Prof. Dr. Egon von Eickstedt, der als Ethnologe und Anthropologe in den 50er Jahren in Kurdistan Ausgrabungen durchgeführt hatte, schrieb, dass dies eine der ältesten Sprache der Welt sei, die seit Jahrtausenden von Kaukasien bis zum Taurusgebirge verbreitet war. Man sollte dies als einen historischen Gewinn betrachten. Eine Sprache, die seit Tausenden Jahren gesprochen wird, eine Sprache, in der es literarisches Kulturgut gibt, eine Sprache, in der viele Dichter schreiben, braucht die Hilfe der EU.
Ich sehe die Gründung der EU als ein fortschrittlichtes Projekt der Menschheit. Wenn die aus so vielen verschiedenen Sprachen und Kulturen bestehende EU, die Sprache der Kurden nicht als Druckmittel gegenüber der Türkei erhebt, wenn die EU es zulässt, dass man der kurdischen Minderheit in der Türkei das elementarste Recht der Menschen verwehrt und die Erlernung der Muttersprache nur auf den privaten Bereich reduziert, macht sie sich zum Handlager des türkischen Systems.
Als Herr Verheugen noch Kommissar der EU- Erweiterung war, habe ich sein Büro aus München angerufen und wollte wissen, wie die kurdischen Kinder in der Türkei laut EU-Richtlinien ihre Muttersprache erlernen würden? Der Mitarbeiter von Herrn Verheugen hat mir wortwörtlich mitgeteilt: Wie ein Japaner in München seinem Kind Japanisch beibringt, so müssen es auch die Kurden in Diyarbakir tun. Die Kurden sind ein Volk. Sie haben eine gemeinsame Sprache und Kultur. Das heißt, es geht um das kollektive Recht dieses Volkes. Wie kann die EU dieses Recht des Volkes auf die private Basis reduzieren?
Der Artikel 6 des EU-Vertrags sieht die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtstaatlichkeit als gemeinsame Grundsätze der EU vor, wie dies auch ebenso in der Präambel der Charta der Grundrechte der EU zum Ausdruck kommt. In der Charta wird auch die Achtung der Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen, besonders hervorgehoben (§22). Es heißt: "Die Unterrichtung von Regional- oder Minderheitensprachen wird nur im Rahmen von Privatkursen erlaubt." Die Kurden versuchten einige Kurse in Van und Batman zu eröffnen, aber dies wurde von den Behörden mit strengsten Auflagen verhindert. Heute gibt es keinen einzigen Kurdischkurs.
Übrigen ist es absurd, Kurdischkurse zu eröffnen, wenn die Buchstaben im kurdischen Alphabet noch verboten sind. Die Buchstaben "x", "w" und "q" sind verboten, weil sie im türkischen Alphabet nicht vorkommen.
Wenn diese Privatkurse trotz aller Repressalien geöffnet werden würden, würden dann nur die Schüler, die die Grundschule absolviert haben, aufgenommen. Das heißt, es könnten die Schüler der 6.,7.,8. Klassen an Wochenenden und in den Sommerferien teilnehmen. Die Lehrpläne müssen nur Sprachliches beinhalten, sie dürfen keine kulturellen, historischen oder geographischen Inhalte umfassen. Sie müssen vom Erziehungsministerium genehmigt werden. Inhalte dürfen nicht gegen die Grundprinzipien der Republik oder die Einheit des Staates, der Nation gerichtet sein. (III. b, III. c)
Die Kurden werden gezwungen, sich entweder zu verleugnen oder ihre Muttersprache privat zu erlernen. Die private Erlernung der Sprache ist kostenpflichtig, was ich als eine Gewissenlosigkeit der armen kurdischen Bevölkerung gegenüber sehe. Dies verschärft die soziale Ungleichheit im Bildungswesen noch zusätzlich. Es dürfen nicht weitere Gräben und Ungleichheit im Bildungswesen geschaffen werden.
Außerdem wird das Potential der Muttersprache nur auf die Alphabetisierung reduziert. Aber die Funktion der Muttersprache ist viel wichtiger. Sie muss mindestens als koordinierte Zweitsprache ab dem Beginn des Schullebens, ab der I. Klasse an im Erziehungs- und Bildungsbereich als relevantes Fach durchgesetzt werden. Es ist wichtig zu erwähnen, dass das Kurdische der Hindu-europäischen Sprachfamilie angehört, und mit dem Türkischen, das dem Altai-mongolischen Zweig angehört, keine Verwandtschaft hat.
Man muss sich fragen, ob die EU mit diesen "getürkten Änderungen" zufrieden ist. Aus den Fortschrittsberichten ist nicht klar zu erkennen, ob man den Beitrittspartner Türkei auffordert, das Schulsystem zu ändern und den Kurden ihre kulturelle Rechte Verfassungsmäßig anzuerkennen.
Außerdem, warum sollen die Kurden ihre Muttersprache nur privat erlernen dürfen, wenn sie doch dem Staat gegenüber ihre bürgerlichen Pflichten erfüllen müssen, und ihnen auch das Recht auf Muttersprache zusteht.
Der Kommissar für nationale Minderheiten der OSZE, Max van der Stoel, sieht die Minderheitenrechte als untrennbaren Teil der Menschenrechte. Er sagt, man müsse den Minderheiten in Angelegenheiten ihrer Identität den gleichen Schutz geben wie den Mehrheiten. Danach müssen die kulturellen Rechte der kurdischen Minderheit im Erziehungswesen voll anerkannt werden.
Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten sieht im Artikel 12 und 13 vor, dass die nationalen Minderheiten zur Bildung und Forschung, zur Lehrerausbildung und beim Zugang zu allen Bildungsstufen Chancengleichheit haben. Um Chancengleichheit zu gewährleisten, muss im Bildungsbereich in der Türkei das Prinzip unentgeltlicher Bildung verwirklicht werden. Dazu muss muttersprachliche Bildung auch im staatlichen Schulwesen angeboten werden. In Artikel 14 heißt es, dass jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht hat, ihre Minderheitensprache zu erlernen oder in dieser Sprache unterrichtet zu werden. Obwohl in der Rahmenkonvention der Europäischen Charta zum Schutz von Regional- und Minderheitensprachen, in den Haager Empfehlungen der OSZE das Recht der nationalen Minderheiten so klar definiert ist, sind die Kurden von diesen Rechten ausgeschlossen. Um die Kurden rechtlos zu halten, hat die Türkei bis jetzt manche internationale Abkommen nicht unterschrieben. Die europäische Charta zum Schutz von Regional -und Minderheitensprachen ist eines davon.
Mag sein, dass die Beitrittskriterien zu EU für jeden Kandidaten ähnlich und klar formuliert sind. Aber für die Umsetzung der Kriterien hat die Türkei bis jetzt kein Konzept vorgelegt. Die kosmetischen Änderungen, die von der EU als Fortschritt gesehen werden, haben für die Kurden bis jetzt nichts gebracht. Die kurdischen Schüler schwören weiterhin beim Beginn des Unterrichts, dass sie Türken seien.
Ich erwarte von diesem fortschrittlichsten Projekt der Menschheit, also von der EU, die sich kulturell und zivilisatorisch auf das griechisch-römische Erbe bezieht, im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und gemäß der Charta der EU von der Türkei rasche Entscheidungen fordern. Statt dessen geht man mit der Türkei um wie ein rohes Ei. Ich finde diese Politik sehr gefährlich. Wenn man die Dinge nicht beim Namen nennt, kommt man nicht richtig voran, schon gar nicht bei der Türkei.
Die kurdischen StudentInnen und Schüler haben an ihren Universitäten und Schulen einen Antrag gestellt, um ihre Muttersprache als Lernfach einzuführen. Die Eltern haben die Forderung der StudentInnen und Schüler unterstützt. Der türkische Innenminister hat die verantwortlichen Organe angewiesen, dass eine solche Aktion Separatismus sei und man polizeilich energisch dagegen vorgehen müsse. Dieser gewaltfreie Weg zur Forderung nach dem elementaren Recht auf muttersprachlichen Unterricht wurde von den türkischen Behörden als ein Terrorakt eingestuft und StudentInnen und Eltern wurden verhaftet.
Leider hat die EU darauf keine Reaktion gezeigt. Außerdem hat die EU in ihren Berichten, die Türkei in einer klaren und verständlichen Weise nicht aufgefordert, den muttersprachlichen Unterricht für Kurden in den staatlichen Schulen einzuführen. Wenn ein Staat seinen Bürgern mit Strafe droht, weil sie ihre Muttersprache erlernen wollen, muss die EU die Existenz von 20 Millionen Kurden in der Türkei, in jeder Hinsicht in Schutz nehmen, sonst verliert sie ihre Glaubwürdigkeit.
Der frühere EU Abgeordnete Herr Jannis Sakellariou sagte am 16.04.85 vor dem Europäischen Parlament: "Wir verlangen die Gleichsetzung und Gleichberechtigung der Muttersprache mit der Amtsprache eines Landes, um zum Beispiel einem Kulturvolk wie den Kurden, von denen Hunderttausende in der EG leben und arbeiten die Chance zu geben, in der Gemeinschaft als freie Bürger ihre Sprache und Kultur zu lernen und zu pflegen. Für solche "Verbrechen", wie die eigene Muttersprache zu sprechen und die eigene Kultur zu pflegen, verhängen die Militärgerichte der türkischen "Zivil"-Regierung mehrjährige Gefängnisstrafen."
Diese lasche Haltung der EU verstehen die Kurden nicht. Heute leben in Westeuropa mehr als eine Millionen kurdische Emigranten, die einen Blick in die Türkei und auf die EU werfen. Wenn sie sehen, dass die EU keinen notwendigen Druck gegen die Türkei unternimmt, werden sie sich sowohl in Europa, als auch in der Türkei für ihre gerechten Rechte zivil und demokratisch ausdrücken. Dies würde die Stabilität der Türkei noch mehr stören.
Hier muss ich ein Problem erwähnen, das sehr wichtig ist. Wenn die EU den gerechten Forderung der Kurden nicht entgegenkommt und die Muttersprache, Kurdisch in den staatlichen Schulen als relevantes Fach für die kurdischen Kinder fordert, und sich wie bisher zurück hält, besteht die Gefahr, dass die Kurden, die bis jetzt immer für die EU waren und weltlich und westlich orientiert sind, auf Grund dieser hoffnungslosen Situation und aus maßloser Enttäuschung, sich von der EU entfernen.
Ich möchte an die EU-Organe eine Frage stellen: Sehen sie die gleichen Werte, die gleiche Zivilisation und Demokratie, die sie für ihre Völker vorsehen, auch für das geschundene kurdische Volk vor? Wenn ja, was haben sie bis jetzt für Kurden unternommen, als die türkischen Generäle mit Nato-Waffen Tausende Dörfer dem Erdboden gleich gemacht haben und noch machen, und warum ist unsere Muttersprache noch nicht frei?
An der heutigen Situation der Kurden sind auch die Europäischen Länder mit Schuld. Deutschland hat seine militärische Disziplin, seinen Rassenwahn, "ein Staat, eine Nation, eine Sprache" durch ihre Militärs in die Türkei exportiert und installiert, England und Frankreich haben ohne die Kurden zu fragen, Kurdistan unter den undemokratischen despotischen Staaten Türkei, Iran, Irak und Syrien aufgeteilt. Deshalb steht die EU auch in der Schuld der Kurden.
Die Türken haben ein Sprichwort: "Kannst du eine Sprache, bist du ein Mensch, aber wenn du zwei Sprachen kannst, dann bist du zwei Menschen." Besser kann man die Bedeutung einer Sprache nicht erklären.
Ein Teppich braucht Fäden, Farben, Motive und Fantasie, um vollkommen zu werden. Für mich als Schriftsteller sind die Wörter, Begriffe, Bilder kurz gesagt die Sprache, auf die auch im Türkischen großen Wert gelegt wird, wichtig. Nun, die Türkei hat auf Grund ihrer Separatismuspolitik die kurdische Sprache nicht freigegeben. Unsere Sprache und Kultur wird gewaltsam assimiliert. In Folge dieser Politik flüchteten viele Kurden ins Ausland.
Besonders bei diesen Emigranten in Europa werden fundamentale Probleme auf tauchen, weil sie wegen der Eliminierung der Muttersprache in der Türkei die Existenzgrundlage verloren haben. Wäre die kurdische Sprache vollkommen frei, würde die Erlernung des Kurdischen in den Staatlichen Schulen unbegrenzt im Erziehungs-, und Bildungswesen unterstützt und durchgeführt und in der Verfassung verankert werden, würde dies Frieden und Zusammenleben der Völker (Türken und Kurden) in der Türkei bedeuten.
Deshalb muss die EU diesem Punkt primär Gewicht geben und den muttersprachlichen Unterricht in den staatlichen Schulen für Kurden in der Türkei öffentlich einfordern.
Die Welt ist schön, die Umstände sind sehr trüb. Wir leben in einer Welt, in der die globalen Interessen der Wirtschaft sichere Regeln geben, aber den Menschen nicht das Recht, auf Erlernung der Muttersprache.
"Wann kommt der Frühling mit seiner Freude - Wir Kurden wollen die Tage der Freiheit erleben", sagt der berühmte Dichter Cigerxwin. Deshalb fordern wir die EU auf, sich für das kollektive Recht der Kurden, das Erlernen der Muttersprache, einzusetzen, und uns Kurden ein Leben in der Türkei, wie für einen Türken zu ermöglichen, nicht mehr nicht weniger. Das ist unsere Sehnsucht.
Quelle:
http://www.hagalil.com - rundschau